WAS IST FRIGO |
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Frigo, Lyon von Marie Christine Vernay in Kunstforum "Parallele Kunst" S. 241- 245 Frigo, so future "Jeder schreibt für sich selbst Geschichte", hätte Walter Benjamin von jedem/jeder sagen können, der/die Mitglied der "Gruppe" Frigo wurde (sie durchlief) und an ihren breit gestreuten Aktivitäten teilnahm. Seit 1977, als die Zeitschrift "Faits Divers", die auch alle künftigen Frigos verbindet, nicht ohne Überdruß und Provokation die rhetorische Frage stellte: "Muß man auf Künstler schießen?", hatten die Leute von Frigo ihr Niveau bereits gewählt: das Erdgeschoß. Sie mieten eine Villa und eine ehemalige Käserei im volkstümlichen Lyoner Stadtteil La Guillottière: von der Villa aus der Blick auf die Straße, sein Gärtchen wird von einer Eisentür der Käserei begrenzt. Hausmeister der Geschichte, Wärter eines Museums ohne Objekte, mit nur wenig Interesse an einer Verankerung in der "Linken", später auch der Sozialdemokratie, meiden sie auch ausdrücklich die Kirchturmpolitik, bauen Bourgey und Couty eine Festung gegen fein abgestimmte Bewegungen, und sie nehmen das Recht in Anspruch, zu irren, während das "cleane': geleckte Produkt die Szenen überschwemmt (vom Theater bis zur Politik), während auch die "Figuration Libre", zwischen Comic und "Flash"-Ästhetik, allen ihre Spielereien aufzwingt. 3. "Auf einer roten Plane ein liegender Körper. Seine Glieder sind an die Galerie gebunden, die das Aktionsfeld umschreibt und dominiert. Dort sind auch die Zuschauer. Während sie eintraten, schilderte eine durch ein schlechtes Mikrofon verzerrte Stimme den Selbstmord einer Frau und den Mord an einem Mann. 'Todesanzeige' von Heiner Müller. Kurze, abgehackte Sätze. Der liegende Körper befreit sich von seinen Fesseln, es ist ein brauner starker Mann; er spricht nicht. Ein anderer, der ihm ähnelt, redet. Er wiederholt starke, trockene Sätze. Sie ziehen die rote Plane weg, der Boden ist schwarz zwischen gekälkten Wänden. Im Helldunkel des Fegefeuers begegnen sie der Gewalt banaler Objekte, die ihrer natürlichen Funktion beraubt sind: rollende Tische, Operationstische; weiße Kugeln rollen hin und her; große Mülleimer, mit Eispickeln gespickte Eisblöcke, schwarze Erde, Friedhof, und Dreck auf den Gesichtern. Der schweigende Mann wirft sich wütend gegen die Mauer. Eine weibliche Stimme zählt auf russisch. Diese Aufführung hat etwas von Performance, überläßt einen großen Teil dem Zufall, spielt mit Codes, die Konventionen nahe sind: die Wildheit eines harten Surrealismus, die Brutalität der Töne, die die Stille durchlöchern, faszinierende repetitive Effekte. Man ist von der Iyrischen Schönheit der Bilder als Gegenstück zu den bitteren Worten fasziniert, in der blassen Halle ... Ein weißer LKW, mit Poesie beladen, zum Stehen gebracht an den Pforten des Lebens." (Colette Godard in: Le Monde, Paris, 3.12.1980) K wie Kultur und Kapitalismus Parallel dazu verfolgt Frigo seine eigene Arbeit (Praxis ist Analyse), stellt die Ergebnisse in verschiedener Form an unterschiedlichen Orten aus (Saragossa, Quebec, Frankfurt/M., Neu Delhi, Amsterdam u.a.). Im Januar 1984 wird die Installation "EAU" im Centre G. Pompidou, Paris, ausgestellt. 100 Quadratmeter Wasserfläche reflektieren 25 Monitore, die gleichzeitig eine Inszenierung von fünf Videoprogrammen ausstrahlen. "Als Installation ein Boxring mit schwarz glänzender Oberfläche, wie stilles Wasser in einer Grotte. Eine rote Absperrung mit grüner Einfassung umläuft das Rechteck. 20 Monitore stehen im Ring und zeigen in alle Richtungen, einzeln oder in Viererblocks, alle mit demselben Bild, hängend oder in Metallkäfigen. Zunächst ist man wie in jedem TVLaden von dem immer gleichen Bild fasziniert, den Korrespondenzen von Bild und Ton verschiedener Programme, die Frigo mit Bedacht ausgewählt hat. Nach einer Runde um den Ring, gefangen vom Charme der Multivision, kann man jeden Film gesondert betrachten, Montage, Rhythmus und sein Thema ... Der hervorragende Film über das Wasser zeigt eine merkwürdige Verbindung zwischen dem Thema und dem Bildträger Video. Ein anderer über den Tanz vermischt virtuos klassischen Tanz, Evian-Werbung und tanzende Derwische. Ein dritter, Videoperformance, spielt mit dem Bild des Körpers, zerbrechenden Stühlen und Fenstern ..." (Alain Neddam in: Lyon Poche, Dezember 1983) 6. Sie lieben alles, was spült, die Pflaster der Theorie reinigt, das konzeptuelle Geröll, auch wenn sie sich der Konzeptkunst bedienen als eines Feldes kritischer Utopie-Analyse. Sie verteidigen eben nicht den Spielraum, sondern das Werk. Du solltest wissen: Bei Radio Bellevue gibt es keine Fixer, Säufer, Penner, Päderasten, Verrückte. Wir sind Snobs, stolz und ehrenhaft, wunderbar solidarisch, nicht Solidarnosc, immer verliebt!" (Interview mit Christine Carrié, DJ bei Bellevue, für ''Journal TMV", Novemher 1982) Die nicht benennbare Strategie 9. Frigo zielt auf den Spott in seinen destruktiven Aspekten - "Tief im Innern trage ich einen Kampf aus" - mit einer kämpferischen Strategie und ihrem Arsenal: Schlachtgeld, Lager, LKWs, Drillich ... Ziel: eine internale europäische Agora, auf der sich die Worte und Produkte begegnen, abstoßen, lieben. 10. Frigo setzt den Körper klug ein, obwohl eher geübt im Umgang mit Konzepten, Slogans, den Medien (vom TV bis zu den Zeitschriften). Man lädt meist Tänzer ein, die sich mit der Einschreibung des Körpers im Raum beschäftigen. Welche Körper soll man wählen? Die befreiten Körper Loie Fullers, den Maschinen-Körper Oskar Schlemmers und des Bauhauses, den Raum-Körper Cunninghams? Mit seiner nicht eingestehbaren, weil nicht benennbaren Strategie formuliert Frigo mit leiser Stimme: "Moral ist, was mir gefällt." Im Oktober 1985: "Fermeture Close Code Public". Von nun an nennt sich Frigo, inzwischen mit der Popkultur flirtend, Code Public. Man nennt das Konzept "Die Modernen Moralisten" oder die versteckten Genüsse der dekadenten Moral. Seine zehn Gebote sind: Schürhaken, Narzißmus - Egoismus, Sexualität, negativ - destruktiv, Nichtverantwortlichkeit, Doppeldeutigkeit, asozial, Drogen, Parasitentum, Lächerlichkeit, Hedonismus - Scheißegalismus, Die Galeere, Fälschung - Simulacrum, Babel. Im Rahmen der Biennale de Paris im April 1986 präsentiert Frigo-Code Public eine Großveranstaltung der "Modernen Moralisten" in der Grande Halle von La Villette: "Studies on Moral and Entertainment - Babel-Simulation" in Opernform. Die Aktion ist durch Videos rhythmisiert (Videotrack), auf verschiedenen Monitoren und auf großer Leinwand. Das Video ist Motor der Performances, Grundlage jeder Bewegung. (mit: Bigot, Boisset, Bonnet, Bourgey, Couty, Colace, Garlan, Gecco, Phylos, Hentz, Hobijn, Ilyes, Köllges, Mavroleon, Moget, Sanglard, Signer, Stukowsky, Tacci, Vanderborght, Verwoort). Am Ende des Jahrhunderts, des Jahrtausends, hat Frigo einige Kleinigkeiten zustande gebracht. Getragen von Luft- und Kunstbewegungen, nicht sich einspinnend, nicht New-age-fixiert, nimmt es teil (Van Gogh-TV, Ponton/Hamburg, Weltbild/Berlin) an der Verwirklichung einer Kathoden-Agora, Universcity-TV, ein interaktives Kommunikationsnetz, das verschiedene Städte Europas mit aktuellen audiovisuellen Mitteln verbindet. Kalt - heiß, Moment - Erinnerung, privat - öffentlich, umsonst - bezahlt, Multimedia - Spezialisierung - Frigo will nicht wählen. Der Bleimantel des Wohlstands, des Einvernehmens lastet auf 1991. Frigo fährt fort, eine nicht illustrative Poesie zu pflegen, und vertraut den Techniken, weichen wie harten. Technik als Praxis, fußend auf Geschichte. Fotos: 1. Pirate TV Lyon Canal 1 (Piratensender LC1), Frigo installiert einen Piratensender in einem Lieferwagen und sendet mobil eigene Arbeiten, verfolgt von der Polizei. Erste Sendung: 8. Dezember 1984. 2. Am 6. Juli 1981 sendet Radio Bellevue auf FM 95.8 Mhz zum ersten Mal live aus der Villa Bellevue in Lyon. 3. Avis de Deces, mehrteilige/tägige Theaterperformance 1980 (Hentz) 4. Ausstellungseröffnung Benni Efrat: "I heard the underground calling my name" 5. Eau, Videoinstallation im Centre Georges Pompidou, 1984 (I'Analyse c'est la Pratique). 6. Tabona, Spektakel von Frigo mit der Tänzerin Regine Chopinot in einer Videoinstallation mit mehreren synchronisierten Programmen über Tanz, vom 11.1.-12.2.1983; 7. Performance von Mike Hentz 1979 9. Good-Bye Mister Clean, Performance auf der Basis von Videotracks am 2.2.1984 im Musee d'Art Moderne, Paris; 10. Die Gruppe Minus Delta T transportiert einen tonnenschweren Stein von Stonehenge, England in den Himalaya. 11. Videotrack: Oirat von Code Public (Hentz/Vanderborght) Frigo oder die elegante Alternative Dieter Daniels über die 4. Edition von INFERMENTAL: Frigo, Lyon, Frankreich |