INFERMENTAL

Was ist Infermental?

Dieter Daniels über die 4. Edition von INFERMENTAL: Frigo, Lyon, Frankreich

"You will never understand it if you don't feel it" ist Frigos Erklärung zum Begriff Media-Mystik und kann gleichzeitig als Motto für die gesamte Ausgabe stehen.

Es war immer schon ein Anliegen von Infermental, Zusammenhänge zu verdeutlichen und neue Tendenzen aufzuzeigen. Der Aufgabe, durch eine Zusammenstellung eine Aussage zu machen, muss sich jedes Magazin stellen, gleich in welchem Medium. Ein Magazin auf Video hat dabei durch seine Zeitgebundenheit eine noch schwierigere Aufgabe zu lösen, als ein gedrucktes Magazin, welches auch von vorne nach hinten oder kreuz und quer rezipiert werden kann. Nach den bisherigen technischen Möglichkeiten und Vorführgegebenheiten schreibt ein Magazin auf Video seinem Betrachter die Zusammenhänge seiner Beiträge viel deutlicher vor - zumindenst solange der Wunsch des Initiatiors von Infermental, Gabor Body, keine Wirklichkeit ist: nicht 6 oder 7 U-matic Video-Cassetten die nacheinander öffentlich vorgeführt werden, sondern alles auf einer Bildplatte für den Heimgebrauch, wo jeder Titel frei anwählbar ist, vergleichbar der Enzyklopädie im Bücherregal. Wie fern dieser Wunschtraum leider noch ist, zeigt sich schon daran, dass das Medium Bildplatte gerade (zumindenst in Europa) wieder in der Versenkung verschwunden ist.

In der von Frigo edierten vierten Ausgabe von Infermental wird das Anliegen, Zusammenhänge zu zeigen und auch neue Zusammenhänge zu schaffen, besonders deutlich. Die Struktur jeder Infermental Ausgabe ist immer auch Ausdruck der Sicht- und Arbeitsweise der jeweiligen Redaktion. Frigo ist eine Multimedia-Cooperative mit einer grossen Vielfalt von Aktivitäten. Frigo versucht in seiner Arbeit soziokulturelle Zusammenhänge auch über den Rahmen von Kunst oder Video hinaus zu verfolgen und so Tendenzen der Kulturentwicklung aufzuzeigen und Begriffe für sie zu prägen. Dieses Anliegen und diese Struktur werden auch in der Frigo-Ausgabe von Infermental deutlich.

Frigo über Frigo: "Frigo ist eine Gruppe: Gruppe von Individuen, von 8 bis 30 Personen - Künstler, Videasten, Performer, Musiker, Maler, Techniker, Produzenten - arbeitend mit/über die Kommunikation, "L'esthetisme public", die Media-Mystic, "La qualite de vie", die Kreativität; sowie als Beratung, Produktion und Vertrieb. Eine lockere Gruppe, die sich allen Situationen anpasst". Frigo ist: "un espace libre, un laboratoire, une base logistique de loisirs, un lieu d'échanges". Konkret setzt sich dies in den verschiedenen Aktivitäten von Frigo um: Frigo betreibt das Radio Bellevue, die Graphik-Design und Werbe-Agentur ,Faits Divers System S.A.', macht Ausstellungen im eigenen Haus und für andere Institutionen, ebenso Theater und Tanz-Veranstaltungen und geht als Gruppe ,Code Public' mit Musik, Performance und Theater-Programmen auf Tournee. Schliesslich ist Frigo auch die französische Niederlassung der Künstlergruppe -At (Minus Delta t). -At nennt seine Arbeit eine künstlerische Ethnologie, die Aktionen der Gruppe sind gross angelegte Projekte, die verschiedene Kulturkreise einbeziehen. Am bekanntesten wurde das Bangkok Projekt, der Transport eines mehrere Tonnen schweren Steins von Wales nach Bangkok auf dem Landweg, - gesehen als künstlerische Aktion. Die Konzepte von - A t sind auch deutlich in diese Ausgabe von Infermental eingegangen.

Schon die ersten Beiträge des Magazins zeigen die Spannbreite und die Richtung des ganzen: unter dem Titel ,Ethnologie Mondiale' (Ethnologie weltweit) sind als Anfangs-Jingel Amateurfilm-Szenen einer europäischen Hochzeit auf dem Lande zu sehen, - als erster Beitrag schliesst sich übergangslos das Video ,Marriage Indien' von von -At Mitglied Karel Dudesek an, Aufnahmen einer indischen Hochzeits-Zeremonie. Ein Ventilator, dem Indienreisenden als Kühlung verschaffendes Instrument in angenehmer Erinnerung, leitet über zum nächsten Video: ,Accidents in the home, Nr. 17: Gasfires' von Graham Young einem minuziös inszenierten Kunst-Video von kalkulierter Ästhetik und intimer Dichte. Ein Ventilator dreht sich auf dem Tisch (und knüpft somit motivisch an den Jingel an), ein Modellflugzeug segelt in Zeitlupe durch den Raum in die Hand einer Person neben einem laufenden TV. Im Kontrast zur Ruhe des Bildes läuft als Ton ein bayrischer Schuhplattler.

Der erste Eindruck ist Überraschung, so konträre Beiträge wie die dokumentarischen Aufnahmen einer indischen Hochzeit und der artifizielle KunstClip unter einem Nenner, - und dann auch noch die Jingels gennanten Zwischenstücke: Übergangslos folgt Bild auf Bild, keine Pause wird Auge und Aufmerksamkeit gegönnt, selbst die Schrift-Tafeln und Titel sind in die laufenden Bilder eingestanzt. Für den Betrachter, der versucht zu differenzieren, erschliesst sich dies nicht leicht. Bei mir erweckte diese Struktur zunächst Widerwillen. Immer nur BILD, das widerstrebt dem Bedürfnis zu klassifizieren, d.h. zu trennen und zu werten, - ein Bedürfnis,.das ich natürlich verstärkt verspürte unter dem Aspekt, meinen Eindruck für diesen Artikel in Worte fassen zu sollen.

Erst nach einer Weile gelang es mir, mich auf diese Struktur einzustellen und in meiner Sichtweise auf sie einzulassen, denn nur im grösseren Zusammenhang wird das Anliegen klar, das Frigo hiermit verbindet. So wie Frigo als Institution verschiedene Arbeitsfelder und Tätigkeitsbereiche unter einem gemeinsamen Konzept zusammenfasst, wird auch in dieser Ausgabe von Infermental versucht, Disparates unter einen gemeinsamen Nenner zu bringen und aus der Vielfalt der Video- und Film-Produktionen übergeordnete Aspekte herauszulösen. Hierbei wird der Wirkung des Ganzen der Vorrang eingeräumt vor der Axitonomie einzelner Beiträge. Während frühere Infermental-Ausgaben mehr den Anspruch einer Enzyklopädie oder Anthologie hatten, wird hier der Magazin-Charakter in den Vordergrund gestellt. Anders gesagt: es geht eher darum, gedankliche und thematische Zusammenhänge deutlich zu machen, und hiermit soziokulturelle Tendenzen zu belegen und Begriffe zu verdeutlichen, als eine Auswahl von besonders qualitätvoller Einzelarbeiten zu präsentieren. Hieraus spricht eine eigene Auffassung dessen, was ein Videomagazin wie Infermental leisten kann. Die ersten 3 Ausgaben wandten sich vor allem an ein fachlich interessiertes Publikum, dem ein nach Kategorien oder Themen gegliederter Überblick über aktuelle Produktionen präsentiert wurde. Dieses Verständnis von Infermental als Informations-lnstrument wurde von der Redaktion der letzten beiden Ausgaben auf sehr unterschiedliche Weise erweitert und verändert.

Die Infermental Extra-Ausgabe Nordrhein-Westfalen beschränkte sich auf 34 Arbeiten, die dafür in voller Länge gezeigt werden. Die Präsentation ist mit Titeleinblendung, Vor- und Nach-Spann geradezu klassisch und stellt vor allem die Qualität der einzelnen Arbeit in den Vordergrund. Auf die Formulierung übergreifender Tendenzen oder Themenbereiche wird hierbei völlig verzichtet. Die Frigo-Ausgabe geht den entgegengestzten Weg: die Gesamtheit des Magazins in seinem Zusammenhang ist vorrangig und die wesentlichste Aussage der Redaktion sind die thematischen Vorgaben. Im Rahmen der Frigo-Ausgabe kann auch ein ansonsten kaum als eingenständige Arbeit zu bezeichnendes oder gar dillettantisches Stück Video von Relevanz sein, wenn es im richtigen Kontext steht. Umgekehrt lässt sich sagen: in der Frigo-Ausgabe werden gerade eigenständige, in sich geschlossene Arbeiten teils einer etwas willkürlichen Unterordnung, die ihrer Komplexität nicht gerecht wird, unterzogen. Bei der NRW-Ausgabe, die voll auf die Qualität der einzelnen Arbeit setzt, wird diese bei einigen, (zugegebenermassen wenigen) um so schmerzlicher vermisst. Verschiedene Auffassungen von den Aufgaben und Möglichkeiten eines Videomagazins werden von der Redaktion der jewelligen Ausgabe zu verschiedenen Konzepten ausgeformt: enzyklopädisches Informations-Instrument als die ursprüngliche Intention von Infermental, - Präsentation eigenständiger künstlerischer Arbeiten, sozusagen eine Video-Ausstellung auf Cassette bei der NRW-Ausgabe, Medien- und Kultur-Magazin mit durchaus auch populärem Anspruch bei der Frigo-Ausgabe. Das Veständnis von dem, was ein Video-Magazin leisten kann und soll, zeigt sich bei Frigo auch daran, dass viele auf S-8 Film und 1/2 Zoll-Video produzierte Beiträge aufgenommen wurden. Nicht technische Qualität oder die glatte Abgeschlossenheit einer Arbeit waren das wichtige, eher ein Interesse an ungewöhlichen und aussagekräftigen Bildern verschiedenster Herkunft, die etwas von der Situation ihrer Produktion vermitteln.

Dieser Basis-Orientierung entspricht das Konzept mit den Jingels zwischen den Beiträgen. Sie stellen die Beiträge zurück in den Kontext der Menge anonymer Bilder, die ständig überall produziert werden. Die Beiträge sind signifikante Teile aus der ,Gesamtheit aller möglichen Bilder'. Die Frage von ,Kunst' oder ,Videokunst' ist sekundär. Viele der Beiträge haben dokumentarische Elemente oder sind rein dokumentarisch. Längere Produktionen werden in Ausschnitten gezeigt, kürzere ganz. Die Jingels sind zumeist Ausschnitte aus der alltäglichen Produktion von Frigo, eingefangene Momente. Viele kommen auch aus dem Archiv von Mike Hentz, Film-Aufnahmen seines Vaters aus den 60ern, Familien-Anlässe, die Kinder, der Urlaub usw. So gesehen (und für Eingeweihte) bleiben die Jingels nicht nur anonyme Bindeglieder, sondern sind zugleich auch privat-biographische Aneignung und Kommentierung der Beiträge.

Die Themen der 7 Cassetten sind: Ethno-Mondiale, Ethno-Occidentale, Logique Emotionelle, Narsisse, Media Mystic, Simulacre, Societé. Im Unterschied zu den früheren Infermental-Ausgaben wurden diese Themen schon mit der Aufforderung, eine Arbeit einzureichen, als Vorgaben festgelegt. In den bisherigen Ausgaben dagegen wurden die Themen-Bereiche erst im Nachhinein, d.h. als Analyse und Gliederung der eingereichten Arbeiten und zur Verdeutlichung von Tendenzen geprägt. Dem entspricht es, dass die Kategorien der Frigo-Ausgabe weniger einen deskriptiven als vielmehr einen perspektivisch bis philosophischen Charakter haben, - das französische Denken von Levi-Strauss bis Lyotard klingt in ihnen an. Doch wohl nicht jeder Autor konnte mit den Begriffen etwas verbinden, so dass auch bei der Frigo-Ausgabe eine ganze Reihe der Arbeiten von den Editoren einem Thema zugeordnet wurden, ohne ausdrücklich vom Autor für diese Kategorie eingereicht worden zu sein. Die Aufgabe, die jede Infermental-Redaktion auf ihre Weise zu lösen hatte, ist aus einer Vieizahl gelieferter (d.h. nicht selbst ausgewählter) Arbeiten ein Ganzes zu machen und dies zu strukturieren. Die Themenbereiche, die Frigo hierfür als Vorgaben gemacht hat, korrespondieren (wie nicht anders zu erwarten) teils besser und teils weniger mit den Arbeiten.

So gelingt z.B. in ,Ethno-Occidentale' eine überzeugende Zusammenstellung, die über die extreme Verschiedenheit der einzelnen Arbeiten hinaus einen gedanklichen Bogen spannt. Hans Peter Boeffgens ,Hammerschützen' verkörpert ,Ethno-Occidentale' in reinster Form: Aufnahmen vom Wettkampf um die Ehre des Schützenkönigs irgendeines Schützenvereins in der Provinz, einer der Bräuche des Abendlandes, der sich bis heute erhalten hat. Joanna Jones setzt dem im nächsten Beitrag den Wunsch nach neuer Körperlichkeit und Primitivität entgegen: Malerei mit dem ganzen nackten Körper als Ausdrucksmittel. Der Jingel mit beschlipstem Kragen zeigt die Ordnung, die dagegen steht. Was bei Joanna Jones sinnliche weibliche Asthetik ist, wird in ,Un moment d'égarement' von Pacte Noir zum occidentalen Stammestanz: bunte Körper formen ständig neue Bilder zum Rhythmus der Musik, ein mit einfachen Mitteln attraktiv gemachter Musik-Clip, optisch mindestens so interessant wie effektüberladene Techno-Clips. Das Thema des rituellen Kampfes, das hier anklingt, wird in ,Course Automobile' von P.S.Ortiger aufgenommen, Filmaufnahmen eines Autorennens aus den 60ern auf Normal-8: immer dieselbe Kurve, immer derselbe Schwenk, nur die Autos wechseln. Amateurfilm und konzeptueller Film können nahe beieinander liegen.

Um zu rekapitulieren: der Spannungsbogen der Beiträge reichte bisher vom Männer-Brauchtum des Schützenvereins, dem eine weibliche Ästhetik und Körperlichkeit entgegengesetzt wurde, bis zum martialischen Tanz bunter Männerkörper und weiter zum rituellen Kampf desAutorennens. Der nächste Jingel zeigt die Füsse kämpfender Männer und leitet damit über zu Axel Klepsch's ,Wo? Da!' einer dichten und stringenten Arbeit: Beine mit wechselnden Schuhen marschieren durchs Bild, von links nach rechts und rechts nach links, Schritt auf Schritt und Schnitt auf Schnitt, Schuhe fallen durchs Bild, von oben nach unten und auch von unten nach oben, Fäuste schlagen auf den Tisch, Finger zeigen links-rechts-dazwischen abstrakte elektronische Bilder, - forscher Vormarsch trotz medialer Orientierungslosigkeit, irgendwohin wird's schon führen. Ausser der vorgeblich zielstrebigen Dynamik, die sich als Kreislauf entpuppt, verbindet ,Wo? Da!' mit ,Course Automobile' auch die Perpetuierung der Bewegung beim Wechsel im Detail (hier Schuhe, da Autos).

Im nächsten Video von Anna Müller wird sowohl den verschiedenen Formen männlicher Aggressivität aus den vorigen Beiträgen das weibliche sado-maso Pendant gegenübergestellt, als auch der latente Fetischismus von ,Wo? Da!' aufgenommen. ,Queen of Porno: Annie Sprinkles' ist ein dokumentarisches Portrait der Porno-Darstellerin Allen Steinberg alias Annie Sprinkles. Unter dem heimischen Weinachtsbaum erzählt sie über ihr Leben und ihren Beruf. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie dies tut, führt zu einer Nähe und fast familiären Intimität mit ihrer ,Perversion'. Sie ist dabei zugleich Darstellerin und Dargestellte und wechselt von der biographischen Erzählung zu ihrer Rolle als Porno-Star, wenn sie mit kessem Blick in die Kamera sagt:, . . . wenn mich jemand heiraten will, - ich bin zu haben!' Mit derselben Lockerheit, mit der sie Statements wie ,I love my job' verkündet, plaudert sie über Details harter Sado-Maso-Praktiken, während sie sch in ihrem Outfit zurechtmacht, das die brave schüchterne Allen Steinberg in die schillernde Annie Sprinkles verwandelt.

Ein kleines Mädchen, das sich auszieht und zu Bett geht, leitet als Jingel auf geniale Weise über zum nächsten Beitrag.

Wie Annie Sprinkles mit ihrem Outfit ihre Rolle wechselt, geht es auch John Scarlett Davis in ,A Trip through the Wardrobes of the Mind' um die Zusammenhänge von Mode und Bewusstsein. Er bietet eine Modenschau ,mit Untertiteln für die stilistisch Blinden' und ,ein Leben, in dem jeder Moment aus einem Kino-Film stammt, läuft mit lapidarer Lockerheit vor uns ab, - nicht ganz Klischee und nicht ganz Persiflage. Auf andere Art werden im nächsten Video von Laibach Kunst Klischees verarbeitet. Gemäss ihrem Motto ,Kunst und Totalitarismus schliessen einander nicht aus'wird von ihnen der Stil faschistisch-stalinistischer Propaganda zur Kunstform hochästhetisiert. Es bleibt jedoch bei nicht mehr als einem Möchtegern-Spiel der bösen Jungs der jugoslawischen Musik-Szene, die ihre Ambitionen verdeutlichen, sich zur Kultband zu stilisieren.

Während für Laibach Kunst der Totalitarismus selbst zum Klischee wird, zeigt Volker Anding, dass die Gefahr von ganz anderer Seite droht: der Totalitarismus der Klischees als Sieg der lllusionen über die Wirklichkeit. Wie schon Scarlett-Davis den Ersatz der Authentizität des Erlebens durch die vorgefertigten Erlebnisse des Films konstatierte, führt Volker Anding die vielfältigen Verflechtungen von realer Welt und Medienwelt mit ironischer Doppelbödigkeit vor. ,EVER'ND SALLAD' ist ein Anagramm der beiden beliebten amerikanischen TV-Serien Denver und Dallas die hier via Telefon in einer höheren Dimension des Mediums TV verbunden werden. Hierbei wird die Trivialität der Handlungsstruktur dieser Serials deutlich, die als bebilderte Fortsetzungs-Romane funktionieren. Der Verlust einer Handlung, die über den Zweck hinausreicht, die Lücke von einer Folge zur nächsten zu schliessen, bewirkt die um so stärkere Eingängigkeit der standardisierten Bilder, die in ihrer Austauschbarkeit eine beliebige Neukombination zulassen. Gerade diese Eingängigkeit der Bilder führt zu ihrem Übergreifen in die Realität. Vergleichbar der Werbung führt die stereotype Präsentation standardisierter Tätigkeiten zur Synchronisierung des Betrachters mit der TVWelt, wenn Bobby Ewing seinen Whisky trinkt, trinkt auch Volker Anding seinen. ,Der Grosse Bruder wohnt schon längst zur Untermiete und isst unsere Salzstangen' (V. Anding).

Der Ansatz der Sinnveränderung von Filmzitaten durch neue Montage verbindet ,EVER'ND SALLAD' auch mit Daniel Poensgens ,AII Abendlich', dem ersten Beitrag von ,Ethno Occidentale'. Die Arbeit von Poensgen ist in dieser Ausgabe jedoch leider nur in wenig repräsentativen Ausschnitten zu sehen. Die Kommunikations-Probleme und -Paradoxien, die Volker Anding für das amerikanische TV-Serial aufzeigt, werden von Sam Yada Canarozzi an einem viel weiter zurückliegenden Stück amerikanischer Geschichte thematisiert. In ,Indian Stories 1856' wird eine indianische Fabel vom selben Erzähler verbal in englisch und zugleich in indianischer Zeichensprache wiedergegeben. Die gestische Darstellung wirkt, obwohl sie ohne den gesprochenen Text kaum verständlich wäre, dennoch adäquater: nicht jeder Inhalt ist in jede Sprache be


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nen Bilder kaum noch als losgelöste Eindrücke wahrgenommen werden, sondern nur noch ihr emotioneller Wert bleibt. Als Leitmotiv ein Schwarzer, im Genitalbereich bandagiert, mit Bewegungen zwischen Tanz und Zuckungen, dazu Bilder von Körpern, Verletzung, zerstörerischer Mechanik, Kampf, Operationen u.s.w. mit Schnitten an der Wahrnehmungsgrenze zu monotonem Rhythmus. Ein brutaler Cut-up, der direkt im Unterbewussten landen will - ein filmischer Schlag unter die Gürtellinie. Von einer ähnlichen Underground-Ästhetik, wenn auch viel subtiler, lebt ,Bad Breath' von Bob Lawrie-Blink. Was bei ,23 Skidoo' Schnelligkeit und Härte ist, ist hier die Ahnbarkeit des nicht zu sehenden: immer wieder schwenkt eine Überwachungskamera durch einen Raum, Ausschnitte rätselhafter Vorgänge sind zu sehen, - was geht hier vor: Kampf, Sex, Mord ? Zwischenbilder ersetzen assoziativ das, was die Ü-Kamera nicht zeigt: ein Telefon, ein erschrockenes Gesicht, ein Teller, eine Puppe ohne Kopf, eine Uhr, eine rote Flüssigkeit in der Toilette - ist es Blut? Ein Messer im Spülbecken - warum? Eingeblendete Schriften einer Unterhaltung zwischen wem? Rätselhaftigkeit und Assoziations- Angebote halten sich die Waage, ,Suspense' ohne eigentliche Handlung. Auf eine ganz andere Weise wird in ,Electro-Encephalographic' von Nina Sobel nach der möglichen Verbindung von Gefühl und Rationalität gesucht. In einer parawissenschaftlichen Kombination von Kunst, Medizin und Elektronik werden Gehirnströme visualisiert und als ästhetischer Ausdruck emotioneller Zustände gewertet. Das Video zeigt dokumentarisches Material aus verschiedenen Ausstellungen in den USA. Statt nach einer emotionellen Logik wird hier eher nach einer Logik der Emotionen gesucht. Insgesamt erweist sich der Begriff der ,Logique Emotionelle' als eine überzeugende Thematik von grosser Aktualität, deren verschiedene Aspekte in vielen Videos tangiert werden.

Nicht jeder der Autoren, der seine Arbeit auf Cassette 4 Unter ,Narcisse' wiedergefunden hat, dürfte mit dieser Einordnung vorbehaltlos einverstanden gewesen sein. Bei einigen Videos wie zB. ,Rockabilly Guy' von Steve Jones wirkt die Zuordnung zu Narsisse auch eher wie eine Kritik als eine Klassifizierung des nach einer etwas simplen Masche gestrickten Clips: Ausschnitte aus 50er Jahre Filmen und ein Graffiti-Sprayer, der sich und sein Produkt nicht ohne Eitelkeit in Szene setzt. Narzissmus ist in der letzten Zeitzum Gemeinplatz geworden. Am deutlichsten ist dies wohl in ,Get It' von Leonie Bodeving auf den Punkt gebracht, einem der komplexesten Beiträge dieser Kategorie. Die Ambivalenz von Gefühl und Trivialität wird im Zusammenspiel verschiedener medialer Möglichkeiten inszeniert. Was das Thema ,Media Mystik' (Cassette 5) angeht, muss ich gestehen, nicht zu denen zu gehören, die im Sinne des Eingangs-Zitats behaupten können, mit ganzem Herzen zu fühlen, was Media Mystik ist, - zumindenst nicht in der Zusammenstellung dieser Cassette. Der Begriff ist hervorgegangen aus der Arbeit von - Dt, d.h. aus einer Kunstform, die nur noch in ihrer medialen Vermittlung rezipierbar ist wegen ihrer raumtzeitlichen Grenzüberschreitung des gängigen Rahmens von Kunstvermittlung. Ein wichtiger Akzent der unter ,Media Mystik' zusammengestellten Beiträge liegt denn auch auf der Dokumentation. Gerade die über das dokumentarische hinausgehenden Beiträge vermögen jedoch mehr zu überzeugen, als die oft doch sehr den 70er Jahren verhafteten PerformanceAufzeichnungen dieser Cassette. Zwei sehr konträre Videos greifen das Thema der bedrohten Existenz in der Stadt als Lebensraum auf: ,On Location: ABC City' von Ellen El Malki/Christoph Dreher und ,Justice 82' von Potocka/Robakowski aus Lodz. Beide arbeiten mit dokumentarischem Material und Bildern, die mit verstecker Kamera gedreht wurden. Darüberhinaus sind sie jedoch so verschieden wie die Form der Bedrohung, die sie artikulieren: bei ,ABC City' der schnelle Rythmus des Drogenviertels von New York, umgesetzt in dynamische Bilder zwischen Gefahr und Verlockung, - bei ,Justice 82' die biographische Rekonstruktion der Aufstände in Polen 1982, statische Bilder, die etwas von der Tristesse des Lebens vermitteln, schwarz-weiss mit eingeblendeten Schriften: hier standen Barrikaden - hier kaufe ich seit 2 Jahren mein Fleisch auf Lebensmittelkarten - an diese Polizeistation werde ich mich immer erinnern. Ein auf die Spitze gebrachter Ost-West Gegensatz.

Der Titel von Cassette 6 ist ein im deutschen Sprachraum noch kaum gebräuchlicher, jedoch gewiss zukunftsträchtiger Begriff: Simulacrum, d.h. Abbild, Trugbild, auch Götzenbild oder It. Frigo ,playback of reality'. Dies klingt fast wie ,is it live or is it Memorex?'. Im Begriff des Simulacrum ist jedoch nicht nur die Reproduktion von Realität enthalten, sondern vor allem die Konstitution eines neuen Bildes, das, ohne einen realen Ursprung zu haben, dennoch die lllusion von Realität erweckt. Das Thema vonBild und Realität ist eines der ältesten der Kunstgeschichte und wurde zuletzt gerade in der Video-Kunst der 70er in extenso behandelt. Nachdem es eine zeitiang eher am Rande des Interesses war, wird es gewiss wieder eine neue Wichtigkeit erhalten. Dies geschieht jedoch unter veränderten Vorzeichen und mit neuer Technologie. Während die 70er gerade die Paradoxien der Identität von Realität und Abbild thematisierten und Video damals ohne Schnitt und mit 0-Ton oder in der Life-Übertragung das Medium der 1 zu 1 Reproduktion von Realität war, ist es heutzutage gerade die Möglichkeit zur beliebiger Manipulation und Synthese des elektronischen Bildes, die die Frage aktualisiert. Die Möglichkeiten der völlig synthetischen Bilderzeugung durch Real-Animation mittels Computer nähern sich zunehmend den aus der Realität mittels Kamera entnommenen Bildern. Das Video ,Tilt' von Georges Barber (das sich jedoch in der Kategorie Narcisse befindet) ist ein Beispiel fiur eine kaum noch aufzulösende Verflechtung artifizieller und realer Bilder. Einige der unter Simulacrum zusammengestellten Beiträge setzen sich mit diesen Aspekten auseinander. Signifikant sind einige Jingels: Aufnahmen aus Disneyland, Prototyp der verselbstständigten Filmkulisse, die jeden Besucher zum Mitspieler werden lässt und die Scheinwelt des Films zum realen Erlebnisraum erweitert. Gerade im Bereich der kostenintensiven Kulissenbauten werden heute schon viele Dinge durch Elektronik ersetzt.

"N'TAL AVAT N'TAL" ist ein reines Computer-Video, geht jedoch nicht über die Möglichkeiten des Zeichentricks hinaus. Anthony Luzi greift in ,Leger demain' auf die Geschichte der Illusions-Erzeugung zurück und schlägt eine Brücke vom illusionistischen Zauber-Trick zum Video-Spiel. Niels Lomholt verbindet in ,The hours for Jokers' eine theatralische Inszenierung mit der Spracherzeugung via Computer zu einem sehr eigenwilligen Video, das zur Thematik jedoch einiges beizutragen vermag. Jedoch nicht allein die aktuelle technologische Entwicklung ist entscheidend, sondern ebenso die zugrundeliegende Wandlung des Bewusstseins für den Realitätsanspruch von Bildern - zumindenst seit Bestehen der Photographie. Die Authentizität des Erlebens und das, was von ihr in Bildern zu fassen ist: die ständige Verringerung dieser Diskrepanz ist der Zielpunkt für die Entwicklung der MedienTechnologie, - ihre Unaufhebbarkeit kann oft gerade durch den Rückgriff auf einfache Mittel verdeutlicht werden. Dies zeigt Thomas Busch in dem auf s/w- Film produzierten Beitrag ,Original Identification'. Biographisches Material, Kindheits- und Pass-Fotos werden mittels Stopp-Trick animiert und mit Zeichnungen kombiniert und überlagert. Jugend, Familie, Körper, Sexualität, das wenige, was von diesem persönlichen Erleben in Bildern zurückbleibt, wird der objektivierenden Sicht von biologischen Schemata gegenübergestellt. Die Unvereinbarkeit der individuellen Entwicklung mit seiner medizinischen Norm (vielleicht aus dem Aufklärungsunterricht der Jugend, wird ebenso deutlich wie die Diskrepanz zwischen privatem Erlebnis und objektivem biographischen Material.

Ein Text am Ende von Cassette 6, verlesen von einem distinguierten Engländer, hebt einige wichtige Aspekte nochmal hervor. Hier heisst es unter anderem. ,The question of plagiarism doesn't preoccupie a great number of artists. Many inserts are directly stolen from other films, was a consequence it introduces the notion of public aesthetios. But at the same time it emphasizes a burning issue of the copy rights, or perhaps, it marks the decadence of the idea.' Dies ist gewiss ein zentraler Punkt der aktuellen Diskussion, der in der Frigo-Ausgabe angeschnitten wird. Den Begriff der ,aesthetique publique' hat sich Frigo ohnehin auf die Fahne geschrieben. Die Frage des copyrights in Verbindung mit dem allgemein als postmoderner Methode apostrophierten Plagiarismus tut ein weites gedankliches Feld auf. Sollte es eine Verbindung geben zwischen der ,Dekadenz des Copy-Rights' gegen die z.B. die Filmindustrie im Kampf mit der Videopiraterie vorzugehen versucht und dem in der aktuellen Kunst zum Prinzip erhobenen Eklektizismus von Stil- und Motiv-Zitaten? Findet diese Synchronität von kulturellen, wirtschaftlichen und juristischen Entwicklungen in der künstlerischen Video-Produktion als Nahtstelle von Technologie und Kunst ihren Niederschlag? In der Frigo-Ausgabe gibt es einige Anhaltspunkte hierfür. Die Thematik des Lebens aus zweiter Hand klang bei John Scarlett Davis und Volker Anding an. Unter dem Stichwort Simulacrum wurde die Authentizität des Erlebens verbunden mit dem Wirklichkeitsanspruch der Bildwelt. Von den Jingels wurde gesagt, dass sie die einzelnen Videos aIs Zwischenstücke aus der Masse der ständig produzierten anonymen Bilder verbinden, und sie so als mögliche Teite in diese Menge zurückstellen. Das in jedem Artikel mindestens einmal zu nennende ,Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit' wird zur,Reproduktion als Technik des Kunstwerks'.

[Der mit ,Gesellschaft' etwas allgemein gehaltene Titel der letzten Cassette ist wohl eher ein Sammeltopf für diverse Beiträge, die von den Editoren mit den anderen Themen nicht abzudecken waren. Unter anderem findet sich hier auch ein Video des Autors dieser Zeilen: ,Carmen'. In der TAZ meinte Inge Bichler hierzu: ,In der Konfrontation von vorher Unverbundenem entsteht Neues. Z.B. Eine andere Interpretation der Oper Carmen: Während Liebesleidenschaft im klassischen Mann/Frau-Verhältnis besungen wird, lauert im Bild eine Katze vor einem Vogelkäfig. Die Interpretation liegt beim Zuschauer.' Nun denn, bleibe es dabei. Und wenn so der Weisheit letzter Schluss ist, lässt sich in einem abschliessenden kulturellen Rundumschlag sagen: Wie auch für Goethe das Streben nach wahrer Erkenntnis eng mit dem nach wahrer Liebe verbunden war, so steht wohl auch der Zuschauer bei manchem Video ebenso da wie Carmens unglücklicher Liebhaber, den sie in ihrer Arie belehrt: ,L'amour est un oiseau rebelle / que nul ne peut apprivoiser, / et c'est bien en vain qu'on l'appelle, / s'il convient de refuser! / Rien n'y fait, menace ou prière, / I'un parle bien, I'autre se tait; / et c'est l'autre que je prefere, / il n'a rien dit, mais il me plait.' Oder um auf das Eingangszitat zurückzukommen wie Frigo es ausdrückt: ,You will never understand it if you don't feel it.'