FANTASTIC VOYAGES: Presse

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Berliner Zeitung
Datum: 14.12.2000
Ressort: Feuilleton
Autor: Jens Balzer

Video killte den Radio Star

Herkunft, Bestimmung und Wesen der Videoclips: eine Diskussion in der
Volksbühne

Die gesellschaftlichen Widersprüche, die das heutige Künstlerdasein
bestimmen, waren das leitende Thema bei einer Diskussionsveranstaltung, die
in der Nacht zum Mittwoch in der Volksbühne abgehalten wurde. Eigentlich
ging es um Videoclips. Die Videokünstlerin Rotraut Pape und der Regisseur
Christoph Dreher stellten den ersten ihrer sieben "Fantastic Voyages"-Filme
vor, die ab 30. Dezember auf 3sat zu sehen sein werden: eine Dokumentation
der Entwicklung der Musikvideos und ihres gegenwärtigen state of the art.

Dabei haben sich Pape und Dreher ihrem Gegenstand wesentlich in interesselos
ästhetischer Absicht genähert: mit einer Art Morphologie der Innovationen,
die die Entwicklung des Genres bestimmen, von dem allerersten Stück, das
1981 auf dem neuen MTV-Sender lief ("Video Kills The Radio Star") bis zu den
Autoren-Videoclips der Gegenwart von Chris Cunningham, Spike Jonze und Hype
Williams.

In deren Arbeiten, so schwärmte Rotraut Pape, werde das Medium in seiner
ureigensten, nämlich "avantgardistischen" Bestimmung erkennbar. Seien
Videoclips nicht überhaupt die einzige Form, in der man im Fernsehen noch
"Avantgarde" sehen könne?

Einer nicht unbeträchtlichen Anzahl von Musikern sind die Entwicklungen in
der Video-Ästhetik allerdings wohl ziemlich egal. Sie halten auch den
"avanciertesten" Clip nur für ein Marketing-Instrument, das ihre
künstlerische Betreuung nicht lohnt: wie etwa Nick Cave, der im Film - sehr
passend in Künstlerpose an einem teuren Piano drapiert - exemplarisch seinen
Abscheu gegen die bunten Filmchen ausbreiten darf. Auch der einzige Musiker,
der während der Diskussion live zu dem Thema gehsrt werden sollte, glänzte
lieber durch Abwesenheit: Der lokal bekannte MC Mr. Chilly Gonzales - für
einen After-Discussion-Auftritt in einem Gespensterkostüm engagiert -
verweigerte das Gespräch mit den Begründungen "MTV makes me want to smoke
crack".

Das sei nicht nur "ziemlich doof", entgegnete der Kölner Clipkritiker Olaf
Karnik, der seit zwei Jahren das Musikvideo-Programm für die Oberhausener
Kurzfilmtage betreut. Daran sehe man auch, dass Gonzales "immer noch einer
ziemlich altmodischen Vorstellung von authentischen Künstlersubjekten"
anhänge, wie die alten AchtzigerJahre-Künstler wie Cave eben auch. Aber
deren äelbstpräsentation als Marketing-Feinde sei ja, ihrerseits, auch
wieder nur Teil einer Marketingstrategie - und zwar einer sehr
uninspirierten, verglichen mit dem vertrackten Zeichengebrauch, den man etwa
bei Missy Elliott (inszeniert von Hype Williams) oder Aphex Twin (von Chris
Cunningham) beobachten könne.

Nein, meinte Karnik: Es könne keinen Schritt zurück hinter die Arbeit an
Symbolen und Zeichen mehr geben. Der Videoclip sei das wichtigste Popmedium
in der Gegenwart; man brauche eine neue Form der Kritik, die musik- und
kunsthistorisch gleichermaßen versiert sei und nicht mehr an überkommenen
Authentizitätsvorstellungen kranke. Und außerdem - dies war der Schluss, den
er unausgesprochen ließ - wohl auch intelligentere Künstler.

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