FANTASTIC VOYAGES: Presse |
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[Image] Berliner Zeitung Datum: 09.01.2001 Ressort: Feuilleton Subjektivität im Kokainrausch Autor: Jens Balzer Welteroberung, Weltverlust: Wie Videoclips unsere Wahrnehmung verwirren Unter den gegenwärtig kursierenden Kunstformen sind Videoclips weithin die flüchtigste; schon dies zeigt ihre Modernität. Videoclips sollen helfen, eine Ware unter die Leute zu bringen, ihnen selbst aber geht alle Warenfsrmigkeit ab. Man kann Videoclips weder kaufen noch - notwendige Bedingung jeden Daseins als Werk - sonst wie ein Eigentum an ihnen erwerben; in der Regel weiß man nicht einmal, welche Clips zu welchen Terminen im Fernsehen abgespielt werden. Dem unvorbereiteten Betrachter bleibt so bloß der Zufallseindruck, den das MTV-Programm ihm erlaubt: eine Endlosschleife mit leicht geschürzten Diskoschönheiten, die sich zum Rhythmus der zu vermarktenden Musik bewegen. Von den erzählungslos kreisenden Mustern und Geometrien der neueren Techno-, House- und Ambient-Clips ist dieser MTV-Mainstream ebenso grundlegend getrennt wie von den kurzfilmhaft ausholenden Autoren-Videos, wie sie sich neuerdings wachsender Beliebtheit erfreuen. Immerhin sechs Wochen lang kann man sich jetzt, jeweils Montags, die schönsten Clips aus diesen beiden Avantgarde-Schulen in einer Retrospektive ansehen: in der "Fantastic Voyages"-Serie, die Rotraut Pape und Christoph Dreher für das 3sat-Programm zusammengestellt haben. Nicht systematisch aber geschmacklich von großer Sicherheit zeigen sie dem Betrachter den Stand in der gegenwärtigen Videokunst: die rückkoppelnden Störbilder von Oval ebeno wie die melancholischen Pseudo-Dokumentationen, die Mike Mills für das House-Duo Air inszeniert; die bizarren, mit ihrem bisexuellen Narzissmus auch den hartgesottensten Trashfreund noch gut verstörenden Filme Chris Cunninghams (etwa "Windowlicker" für Aphex Twin); die selbstironischen Low-Budget-Aufnahmen von Spike Jonze: wie "Praise You" für Fatboy Slim, worin eine vermutlich buddhistisch inspirierte Selbstfindungsgruppe sich zur titelgebenden Musik im freien Erfahrungstanz versucht. Erzählen oder Nicht-Erzählen In den Programmpausen hat man zudem Psychoanalytiker und Philosophen - Slavoj Zizek, Kaja Silverman, Kodwo Eshun und einige andere übliche Verdächtigung aus dem poststrukturalistischen Kulturtheorie-Betrieb - vor dem Clipmonitor abgesetzt; im verdunkelten Studio versuchen sie sich im Schnellinterpretieren: Lassen Radiohead ein lacanistisches Subjektverständnis erkennen? Wo bleibt der Phallus im Techno-Clip? Wohl hätten Pape und Dreher auch gern einen satt ausgemalten Überblick über die Entwicklung des Genres abgeliefert. Aber die Lizenzen fürs kunst- und filmhistorische Vergleichsmaterial waren für die Produktion schlichtweg zu teuer. Während die privaten Musiksender naturgemäß gar kein Interesse an der Historisierung und der Reflexion auf die eigenen Mittel besitzen, stellt der spätbildungsbürgerliche Spartenkanal das Massenmedium in die Nische; statt teurer Philologie hat er für das Thema nur die Arte Povera der poststrukturalistischen Theoriebildung übrig. Diese Beschränkung reicht der Serie aber nicht nur zum Nachteil. Die protestantische Kargheit stärkt die Aufmerksamkeit fürs interesselos Normative: Was ein "gelungener" oder auch nur inspirierender Clip ist, definieren Pape und Dreher nicht nur konsequent gegen den Mainstream der Hitparaden-Clips; diesen wird sogar kurzerhand die Zeitangemessenheit abgesprochen. Weil das durchschnittliche MTV-Video nur die zu vermarktenden Interpreten beim Tanzen oder Rocken oder in sonstwelchen musikalisch motivierten Tätigkeiten zeigt, hänge es einem veralteten, nämlich humanistischen Popbegriff an, der mit dem Aufschwung der elektronischen Musik obsolet geworden sei. In der Tat kennt die elektronische Musik weder Texte, die zu bebildern wären, noch Stars, die man abbilden ksnnte. Wenn man nicht - wie es im durchschnittlichen Techno-Clip allerdings noch immer die Regel ist - zusammenhanglos erfundene Geschichten über die Musik stülpen mschte, bleiben zur Verankerung der Bilder im Klang nur die reinen Rhythmen und Harmonien. In dem sehr sehenswerten Beitrag "Befreite Bilder" hat der Filmkritiker Chris Darke die besten Beispiele für eine solche, unmittelbare Verbindung von Bildern und Klängen zusammengestellt: etwa die Filme des Wiener DJs Christian Fennesz, die in der Tradition der Found-Footage-Filme aus den sechziger Jahren stehen. Wie diese, verbindet Fennesz mittels Stopptrick die verschiedensten Filmbilder und -materialien (Video, Fernsehen, Zelluloid) - und bildet an dem Durcheinander neue Zusammenhänge aus, indem er die Montage nach seinen Sequenzerbeats rhythmisiert. In der Abstimmung auf den dominierenden Ton beginnen sich Kleckse, Schlieren und Streifen allmählich vom repräsentierenden Rest des Bildes abzuheben. Fennesz Filme sind symptomatisch für ein ganzes Clip-Genre, das sich nicht mehr aus der Arbeit fürs Fernsehen entwickelt hat - sondern aus den Live-Improvisationen der VJs (Video-Jockeys) im Club. Dass diese Filme so wirken, als beerbten sie bewusst das "experimentelle" Kino - die Montage-¤sthetik von Walter Ruttmann und Oskar Fischinger, die Multimedia-Happenings von Andy Warhol und Nam June Paik -, liegt wesentlich an ihrem Reimport in das Fernsehen. Auf dessen Publikum ksnnen sie, wie Darke hofft, sogar eine pädagogische Wirkung ausüben: Weil die Bilder als Illustration eines Rhythmus erschienen, sei dem Blick der Affront des Ungegenständlichen gemildert. "Wenn man sich den experimentellen Bildern über die Musik nähert, wirken sie weniger Furcht einflößend. " Freilich taugen die Clips, auf die Darke sich bezieht, nicht immer zum Beleg seiner These. So hat die britische Band Add N to (X) ihre abstrakten Formen zwar präzise auf den hektischen Takt der Musik abgestimmt ("Litte Black Rocks in the Sun", 1998). Aber bei aller Synchronisierung wechseln die Muster so häufig, dass einem über der Anstrengung, den Blick auf die rasenden Bilder zu konzentrieren (gewissermaßen: das Makroschema des Bildwechsels zu verstehen) alle anderen Wahrnehmungen ertauben. Je stärker die Dynamik der Tonspur eskaliert, desto stärker wird die Wahrnehmung von der Musik auf die dazugehsrigen Bilder gelenkt. So schlägt der Versuch zur Synästhesie von Bildern und Klängen gerade ins Gegenteil um. Ästhetik der Wiederholung Anders als Darke behauptet, zeigt sich darin aber keine Provokation eingeübter Wahrnehmungsweisen, die mit der schnellen Schönheit des Schocks zufrieden gestellt wäre - sondern eher eine systematische Unbestimmtheit in der Beziehung zwischen Bildern und Klängen, die den Betrachter zum nochmaligen Sehen motivieren mschte. In seinem Beitrag "Short Stories" - dem zweiten Höhepunkt der Serie - stellt der Philosoph Joseph Vogl seine Ästhetik der Clips ganz unter den Begriff der Wiederholung. Diese stelle schließlich nicht nur die "äußere" Daseinsbedingung der Videoclips dar ("man muss sie immer wieder ansehen ksnnen, ohne dass einem dabei langweilig wird"); im "Inneren" des Clips wiederhole sich die Wiederholung als Schema: in der Rhythmisierung der entgegenständlichten Bilder ebenso wie in jenen neueren Filmen, die den Naturalismus ironisch auf die Spitze zu treiben versuchen: etwa - wie in The Prodigys "Smack My Bitch Up" - durch den subjektiven Kamera- (Fortsetzung auf Seite 12) (Fortsetzun g von Seite 11) -blick auf einen kokainberauschten Abend im Club. Je intensiver man die Bilder als "realistisch" erfahre, desto stärker erscheine die Musik dazu nur noch als bloßer Soundtrack - und als Verdrängung des "natürlichen" Tons, der "eigentlich" zu den Bildern gehört. So aber wird die Wahrnehmung des Betrachters in einen dauernden Wechsel zwischen Sehen und Hören gezwungen: in die stetig erneuerte Wiederholung des Versuchs, die versprochene Synästhesie herzustellen. Nur dann bleiben Clips interessant, wenn sie die Ganzheit des Wirklichkeitsbilds, das sie versprechen, zugleich wieder unterminieren: indem sie Bilder und Klänge dergestalt einander entgegensetzen, dass die Wahrnehmung sich beim wiederholten Betrachten nicht abschleift, sondern vertieft. Dem Realitätsprinzip des normalen Pop ist die Clip-"Avantgarde" notwendig entgegensetzt: Während dieser notorisch behauptet, die ganze Welt gehsre ihm, künden die Videoclips wesentlich vom Weltverlust. Dort - und nur dort - schreiben sie wirklich das Programm der alten Filmavantgarden fort: wo sie den Realismus und dessen Verneinung zäh ineinander verschränken. Fantastic Voyages von Rotraut Pape und Christoph Dreher läuft noch bis zum 12. Februar auf 3sat; jeweils Montags um 22. 55 Uhr Bild AUS DEM KATALOG DER AUSSTELLUNG "SOUND & VISION", DEUTSCHES FILMMSEUM FFM. 1993 "Radio Dynamics" (1943): früher Musikclip von Oskar Fischinger. ------------------------------------------------------------------------ http://www.BerlinOnline.de/wissen/berliner_zeitung/archiv/2001/0109/feuilleton/0003/index.html?keywords=Fantastic%20Voyages&ok=OK%21&match=strict&author=&ressort=&von=&bis=&mark=fantastic%20voyages Ein Service von Berliner Zeitung, TIP BerlinMagazin, Berliner Kurier und Berliner Abendblatt. © G+J BerlinOnline GmbH, 05.02.2001 |