SIXCON

1995-97 | workshop
SIXCON, DER 6. KONTINENT
Rotraut Pape u.a.

Semesterübergreifendes Seminar mit Studenten des Fachbereichs "Entwerfen mit technischen Bildmedien" an der HdK Berlin, Medienzentrum

SIXCON, der 6. Kontinent
wurde schon vor geraumer Zeit entdeckt. Bislang war er nur spärlich von Einwanderern aus allen Teilen der Welt besiedelt, die inmitten einer endlosen Wüste fruchtbare Oasen entstehen ließen und dort zusammen lebten und arbeiteten. Wegen immer günstigerer Transportmöglichkeiten in dieses neue Eldorado, wegen dort rapide sinkender Lebenshaltungskosten, einer Aussicht auf einen Arbeitsplatz und der Sehnsucht nach Abenteuer und dem Duft der großen weiten Welt begann vor kurzem ein massenhafter Exodus, eine regelrechte Völkerwanderung in diese teilweise noch völlig unerschlossenen Gebiete. Mit rechtschaffenen Siedlern kamen allerdings auch viele Blutsauger und Gesetzlose nach >sixcon<, die ungeniert ihre Claims absteckten und Terror und Verbrechen verbreiteten. Über Nacht wurden Identität und Kultur ganzer Republiken gelöscht, so daß nach einiger Zeit Erinnerungen einen immer höheren Wert bekamen, da nur wenige Leute noch welche besaßen. Aus Angst, auch diese noch durch Viren oder Sabotageanschläge zu verlieren, besann man sich auf althergebrachte Methoden, um die eigenen Erinnerungen für die Zukunft zu konservieren.

SIXCON: Flaschenpost
Der sechste Kontinent (sixcon), das Szenario unseres Projekts, liegt in der Zukunft und blickt auf unsere Gegenwart zurück. Eine Botschaft (fiktive Flaschen-post) aus unserer Zukunft schwimmt durch das (Inter-)Netz und wartet darauf, gefunden zu wrden. Der Internetbenutzer, der diese Nachricht auffindet, erfährt, daß auf der “sixcon-Börse” eine neue Werteverteilung stattgefunden hat: neben immernoch gültigen Werten wie die Rohstoffe Öl, Silber, Gold, Diamanten, etc. handelt man auf “sixcon” mit Erinnerungen aus der Vergangenheit. Die Internet-Botschaft beinhaltet den Aufruf, Erinnerungen zu schicken, die lebenswichtig für die Menschen von “sixcon” sind. Als besonders wertvoll gelten individuelle, intime und persönliche Gedanken und Erfahrungen, die Bilder auslösen. Sie werden gesammelt, archiviert, konserviert, interpretiert und sogar verkauft. Neben verschiedenen Homepages, die weltweit einzusehen sind, präsentiert der Kernbereich Entwerfen mit technischen Bildmedien eine Vielfalt von themenbezogenen Installationen in verschiedenen Räumen.

SIXCON - Arena Babylon
. Von “live” bis “fake-live”
Früher gab es Marktplätze. Dort traf man sich, um zu diskutieren, wollte sehen und gesehen werden, Neuigkeiten austauschen, Meinungen hören. Auf sixcon heißt dieser Kommunikationsraum Arena Babylon.
Während die ersten sixcon-Siedler anfangs noch froh waren, ohne Körper, Gesicht und Stimme zu leben, entstand schnell das Bedürfnis, ein Gegenüber sehen und hören zu wollen. Damit wuchs der Wunsch, das eigene Aussehen zu beeinflussen, sich Ersatz-Ichs oder modifizierte Doppelgänger zu konstruieren, die man je nach Bedarf in die Arena Babylon schicken konnte, um dort “live” von “Mensch zu Mensch” zu kommunizieren. Wider Erwarten gab es aber nicht nur schöne, junge, gesunde und aktive Menschen. Man war der für immer neuen, antiseptischen Oberfläche aller auf sixcon vorhandenen Dinge überdrüssig geworden. Nirgends gab es Dreck, Schrammen, Rost. Man verlangte nach Patina, nach Falten, nach Spuren gelebter Zeit, die das Leben vor sixcon den Menschen ins Gesicht geschrieben hatte. Eine großartige Vielfalt von Lebewesen mit dazu passenden Lebensläufen entstand. Jeder Mensch wurde sein eigener Schöpfer.
Mit verschiedenen Methoden beschaffte man sich eine neue Vergangenheit, ohne die es bekanntlich keine Zukunft gibt.