D.DIEDERICHSEN: SAMPLING

1995, Video
D.DIEDERICHSEN: SAMPLING
Rotraut Pape
5:30 min, Beta SP

Vor drei Hintergründen redet Diedrich Diederichsen über Sampling in der Pop-Musik: der eine betrifft die Seite der Resultate, das Wie-es-sich-anhört. Diese Seite bringt er in Verbindung mit der Tradition der europäischen Collage. Die zweite Seite ist die der Herstellung, das Wie-wird-es gemacht. Es geht um die geläufige Vorstellung vom Computer als Medium universeller Zugänglichkeit. Der dritte Aspekt ist der Status des Sample im Bezug auf frühere Vorlieben und Codes in der Geschichte der Pop-Musik. Haben gesampelte und gespielte Musik überhaupt eine gemeinsame Geschichte?

D.DIEDERICHSEN: SAMPLING
von Rotraut Pape
Kamera, Licht: Jens Enno Born
Ton: Joachim Fleischacker
Hergestellt bei Turner & Tailor Berlin für: Lost in Musik - Crossover

DIEDRICH DIEDERICHSEN ganzer Text
Also, Sampling ist (...), wenn man das analogisch beschreiben will, sowas wie das Photographieren, das digitale Photographieren von bestimmten Soundpartien, die man irgendwo gefunden hat und die man dann über Programierung (...) wieder abrufen lassen kann. (...) Das war zunächst so in dem Paradigma gedacht der Erweiterung (...) der Ausdrucksmöglichkeiten, also so (nuschel, soll heißen im Sinne) der klassischen europäischen Kreativitätsvorstellung, (...) zum anderen hat es auch den Element, daß man sagte, ja die ganzen Rhythmusmaschinen, die vorher schon erfunden worden sind, all das, was Sequenzer und Computertechnologie an musikalischen Errungenschaften gebracht hat, wärte ja zu technisch, zu unmenschlich gewesen. Im Sampling wäre sozusagen das Grundereigniss, das musikalische Ereignis, mit dem man arbeitet, ja eins, daß vom Menschen hervor gebracht worden ist. (...) Das waren so die ideologischen Aspekte dieser Technologie. (...) Was beim Sampling möglich ist, das man quasi ein Sequenzerprogramm für ein Schlagzeug hat, aber man hat nicht irgendeinen kalten - in Anführungstrrichen - Schlagzeugton, sondern man hat einen, sagen wir von „John Bonham“ von Led Zeppelin aufgenommenen Schlagzeugton, nicht nur einen Ton, sondern ein ganzes Break, eine Verkettung von Schlägen (...), und die loopt man dann und hat darin die ganzen - in Anführungstrichen - menschlichen Qualitäten dieses „John Bonham“, man kann sie auf der anderen Seite sequenzieren und damit auf ner technologischen Weise, ner objektiven Weise, zum Einsatz bringen.
Das Interessante ist nun, daß diese Technologie eine billige Version bekommen hat, eine erschwingliche Version, den Akai, vor allem dem Akai 900, später den Akai 1100, die in den mittleren 80ziger Jahren zu bekommen gewesen sind, die völlig anders genutzt worden sind, und zwar hauptsächlich im HipHop Bereich (...) - nicht um zu Kaschieren, daß eine sekundäre Quelle benutzt wurde, eine alte vorgefundene Platte, sondern im Gegenteil: um dieTatsache, daß man eine vorgefundene Quelle benutzte, auszustellen.
Die frühen HipHoper, die halt bei Parties in der Bronx Platten aufgelegt haben, (...) haben bestimmte Passagen rausgeholt, damals noch ganz mechanisch mit einem Plattenspieler und diese Passagen durch das Auflegen von zwei Platten, zwei identischen Platten, die immer wieder dieselbe Passage gespielt haben, in die Länge gezogen. (...) Diese Strategie,(...) ist durch das Samplingerät quasi zu sich selbst gekommen. (...) Und diese Version von HipHop ab den mittleren 80zigern, seit der Akai 900 verbreitet ist, wurde nun mehr in der allgemeinen Kritik rezipiert als collagenhaft. (...) Und das erscheint mir in mancher Hinsicht problematisch. Die Collage hat ja immer damit gearbeitet, daß sie aus dem Zusammenhang gerissen hat und dann einen neuen Zusammenhang hergestellt hat, der entweder den Orginal -zusammenhang kritisierte oder überhaupt Zusammenhänge schlechthin kritisierte.(...) Was im HipHop passiert, eben nicht das Aneinanderschneiden von Unvereinbarkeiten, Gegensätzlichkeiten, Wiedersprüchlichkeiten ist wie in der Collage, sondern das Nähen quasi, das Zusammenfügen zu einer sinnvollen Einheit, die eben trotzdem zeichenhaft ist, trotzdem eine Referenz hat, auf etwas Vorgängiges verweist, auf etwas Geschichtliches verweist, genau wie die Collage auch, nur eben nicht zum Zwecke der Kritik oder der Denunziation, sondern zum Zwecke der Sinnstiftung. In diesem Sinne, in diesem Falle also halt um eine afroamerikanische Kulturidentität z.B.
In Techno, und auch gewissen.., ja im weitesten Sinne Techno, also auch avancierten Gitarrenmusikkreisen, wird ganz anders mit Sampling umgegangen, aber auch nicht collagenhaft. Das beste Beispiel ist ne Gruppe wie „Space men 3“ oder „Jesus and the Mary Chain“, die noch vor Techno so gearbeitet haben, die halt aus bestimmten Sounds, wie sie an Endpunkten von Gitarrenimprovisastionen bei Bands „Stooges“ oder so standen, also Feedbackorgien, der reine Lärm, die eben codiert sind durch diesen Zusammenhang, als befreiend, extrem, extatisch, endglültig u.s.w., genommen haben, den ganzen Song, die ganze dramaturgische Hinleitung zu diesen Stadien weggelassen haben und nur dieses Endstadium genommen haben und das dann irgendwie18 Minuten repitiert haben. Das ist sozusagen die andere Vorgehensweise. Wir haben das in Diskussionen im Spexumfeld immer genannt: Marmelade ohne Brot essen. Also man läßt sozusagen die so protestantisch arbeitsethischen Trägersubstanzen des Genusses weg, das langweilige Graubrot, die langweilige Butter, man ißt nur die Marmelade. - Obwohl es ja der eigentliche Genuss ist, wo die ganze Arbeit hinführt, ne.