WAS IST INFERMENTAL

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"Über Infermental " von Oliver Hirschbiegel 1984

Die Grundidee von INFERMENTAL: Sammlung und Archivierung aktueller kultureller Tendenzen auf Video, Zusammenschaltung von isolierten Medieninseln und bereits existierenden Netzwerken, mag zunächst recht klinisch und kalt bürokratisch anmuten.

Dennoch wird bei Betrachtung der bereits erstellten Editionen deutlich, daß sich diese jeweils in der Auslegung des Konzepts, den Auswahlkriterien und den Organisationsformen der Redakteure stark von einander unterscheiden. So dokumentiert jede Ausgabe nicht nur einfach einen bestimmten Zeitraum kulturellen und künstlerischen Geschehens und Schaffens, sondern vermitteln ebenso einen sehr authentischen Einblick in die unterschiedlichen Arbeitsansätze der jeweiligen Redaktion, deren Einschätzung von Welt, Politik und Arbeit.

Die Redaktion von INFERMENTAL II legte maßgeblichen Wert auf einen interdisziplinären Charakter ihrer Ausgabe. Ausgehend von der Idee, das IF keine Theologie hat, kein direktes Ziel verfolgt und daß dies zu einem Maximum an Flexibilität in alle Richtungen führt, sollte unser 'Ziel' die Zusammenstellung einer unprätentiösen Enzyklopädie aktueller Tendenzen in allen denkbaren gesellschaftlichen Bereichen sein.

INFERMENTAL sollte offen sein für jeden, der Video künstlerisch wie industriell als Informationsträger nützte oder bereit war, dies im speziellen Fall zu praktizieren.

Nach Sichtung des eingegangerien Materials nahmen wir uns so durchaus die Freiheit, Beiträge zu kürzen oder nur Ausschnitte zu verwenden, mithin Arbeiten auf deren essentielle Aussagen zu reduzieren.

Dies brachte zuweilen den Unmut einiger Macher mit sich, die (bis heute) INFERMENTAL als alternatives Festival mißverstanden und mißverstehen. Die Ausgabe sollte einerseits einen halbwegs wertefreien Überblick über Produktionen des Jahres leisten und andererseits Interesse am Gesamtbild (Werk) des Künstlers, Forschers, professionellen Menschen - name 'em we got 'em . . . wecken. Somit anregen zur Weiterverfolgung bestimmter gedanklicher oder inhaltlicher Linien. Jeder, der mehr über bestimmte Arbeiten und deren Autoren erfahren wollte, konnte über unsere Redaktion den gewünschten Kontakt erhalten. So erhielten dann die jeweiligen Macher Gelegenheit, in adequatem Rahmen ihre Arbeit umfassend und ungekürzt darzustellen.

Leider zu wenige Beiträge gingen direkt von dieser Vorgabe aus, Trailer oder teaser zu sein. Kurze Spots, die in sich geschlossen waren, zugleich aber auf die gesamte Arbeit des Machers verweisen - so ein größeres Maß an Offenheit gewährleisteten. Beispiele hierfür wären de Landa, Tropiafric, Schäffler, Kirberg, Heibach u.a.

Im Sinne des Konzepts für die 2. Edition betätigte sich die Redaktion im bescheidenen Maße auch als Produktionsfirma. So stellten wir selbst einige Beiträge speziell für die Ausgabe her (Rotron/Pape, Nr. 17/Fiege, Rituelle Mechanik/Hirschbiegel) oder aber versahen diese Arbeit im Service-Sinne für andere Personen. Unter anderem entstand so an einem Tag die Quasi-reportage "Never go home any more". Eine Selbstdarstellung von Diedrich Diederichsen an dessem letzten Tag in seinem Büro der legendären Musikzeitschrift 'Sounds', die 1982 eingestellt wurde. Ein weiterer Produktions-Service bestand darin, Beiträge nach detailierten Anweisungen im Studio erst herzustellen. So erhielten wir von Lizzy Mercier Descioux eine LP, ein Polaroid, Dias und einen Super 8 Film, die wir dann nach vorgegebenem Konzept auf Video transferierten und bearbeiteten. Ein anderes Beispiel, Soun-Gui Kim, die uns sechs Super-8-Rollen mit Schnittplan übersandte.

Dies war eine oft zeitaufwendige und mühselige Arbeit, die jedoch im Ansatz durchaus im Gründungskonzept von INFERMENTAL vorgesehen ist. Es schwebte Gabor Body ja nicht nur ein neuartiges Vertriebs- und Darstellungssystem vor, sondern längerfristig ebenso eine Kette von autonomen Produktionsholdings. Eine Idee, die weiterverfolgt werden muß.

Die Hamburger Redaktion nahm sich hierüber hinausgehend die Freiheit, einige Beiträge, die ihr richtig und wichtig erschienen, direkt anzufordern. So ein Bericht über das damals gerade neugegründete Camp des Baghwan, Rajneeshpuram in Oregon, produziert vom Sekretariat für Gegenwart.

Die Auswahlkriterien unserer Redaktion waren nur bedingt von ästhetischen Gesichtspunkten bestimmt. Oberstes Ziel war die möglichst breitgefächerte Darstellung aktueller Tendenzen (auch wenn diese aus unserer Sicht bereits überlebt und veraltet waren) im jeweiligen nationalen und regionalen Kontext. So gewannen durchaus Beiträge an Wichtigkeit, die man individuell als einfach ,schlecht' übergangen hätte, oder andere, die unter ästhetischen Gesichtspunkten eher uninteressant waren (Spinnenforscher Prof. Witt), ihre Kraft aber durch die Kombinationen mit den sie umlagernden Beiträgen erst richtig entwickeln konnten.

Technisch schlechte Qualität war für uns kein Hinderungsgrund Arbeiten aufzunehmen, die interessante Aspekte zum Beispiel zur "Recherche über die Qualität des Lebens" beisteuerten (SPK, Vetö/Szirtes).

Unser Vorgehen läßt sich knapp mit 'Kontrollierte Wertfreiheit' umreißen.

Die Gliederung in die sechs Kategorien, STRESS THERAPIE, HELDEN & GNOSTIKER, MODERNES LEBEN, WAS BIN ICH, DIENSTLEISTUNGEN und RITUELLE MECHANIK ergab sich erst nach Sichtung des eingegangenen Materials. Wir gaben somit nicht apodiktische Themenblöcke vor, zu denen dann eingeladen wurde, operierten vielmehr so dicht an der Gesamtheit des Materials wie irgendmöglich. Wir bemühten uns, dicht am Material Blöcke zusammenzustellen, deren Elemente sich aufeinander bezogen, gegebenenfalls widerlegten, in Allianz Klimas entwickelten oder, simpel verschiedene Standpunkte zu einem ähnlichen Thema darlegten.

Statement der Redaktion war die Ordnung und Bezeichnung dieser Blöcke. Kurz: der Versuch ohne Vollständigkeitsanspruch einige symptomatische Tendenzen und Strömungen des (hervorragenden) Jahres 1982 herauszuarbeiten.